Interview mit unserem Arzt Felix Ahls

Hier finden Sie das Interview (Langversion), das unsere Praktis mit unserem Arzt, Felix Ahls, über seine Arbeit geführt haben und im PSZ-In 2020 aus Platzgründen nur gekürzt abgebildet werden konnte.

„Professionelle Hoffnung“ – Interview mit Felix Ahls, Arzt im PSZ Düsseldorf

Was sind deine hauptsächlichen Aufgaben hier?

Die medizinische Begleitung unserer Klient*innen, die Dokumentation von Folterfolgen, Strukturarbeit, d.h. Kontakt zu medizinischen Versorgungsstrukturen aufbauen, herstellen und aufrechterhalten. Meine Arbeit hat so auch eine politische Ebene, auf der wir strukturelle Veränderungen bewirken möchten. 

Dokumentation von Folterfolgen – was bedeutet das kurz erklärt?

Wir orientieren uns am Standard der Vereinten Nationen, dem sogenannten „Istanbul-Protokoll“, welches die Dokumentation von Folterfolgen beschreibt. Es geht darum, die psychischen und physischen Folgen von Folter in einer auch juristisch verwertbaren Form festzuhalten. Die nach wie vor weit verbreitete Realität von Folter sowie die Menschen, die diese überlebt haben, sind im öffentlichen und politischen Bewusstsein meist wenig präsent. Das erschwert die Bekämpfung von Folter. Die Spuren und Berichte festzuhalten, spielt für die Prävention eine entscheidende Rolle. Nur was sichtbar ist, kann bekämpft werden. Für die Überlebenden gibt es verschiedene Gründe, sich der häufig aufwändigen und belastenden Erhebung ihrer Geschichte und der entstandenen Verletzungen auszusetzen. Beispielsweise kann es für die Ausübung ihres Rechts auf Asyl oder zur Aufenthaltssicherung relevant sein. Es kann auch direkt positive bzw. therapeutische Auswirkungen haben, wenn das Geschehene aufgeschrieben, wenn es sichtbar gemacht wird. Die Strafverfolgung der Täter durch eine juristisch verwertbare Dokumentation zu unterstützen, kann einen ebensolchen Effekt haben und soll auch der Prävention dienen.

Leider ist der Kampf gegen Folter in Deutschland und global keine Priorität der Regierungen und wird vor allem von Nichtregierungsorganisationen geführt. Daher ist die Dokumentation sehr erschwert,  unzureichend, die Datensammlung unsystematisch und die Straflosigkeit die Regel.

Was ist dabei die größte Herausforderung für dich?

Da ist diese Ohnmacht angesichts des Drucks, der auf ganz verschiedenen Ebenen auf den Leuten lastet, die uns aufsuchen. Sie kämpfen mit einer schlimmen Vergangenheit, einer schwierigen Situation in der Gegenwart und einer ungewissen Zukunft. Und das sind oft auch politisch gewollte Schwierigkeiten, es wird in Europa eine Abschreckungs- und Abschottungspolitik betrieben, das macht mich wütend und angesichts der bisher erfolglosen Versuche sie einzudämmen, stellt sich oft ein Gefühl fehlender Wirksamkeit ein. Wenn wir helfen können, dann häufig nur in Einzelfällen.

Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß?

Spaß ist vielleicht das falsche Wort, auch wenn es natürlich im zwischenmenschlichen Kontakt auch lustig zugeht. Aber Menschen ihre Würde zu lassen und einen Raum zu geben, über sich, ihre Geschichte und ihre Probleme zu sprechen, das ist ein schönes Gefühl. Dieser Raum wurde und wird ihnen genommen. Außerdem gefällt mir, wie interdisziplinär hier gearbeitet wird und das Engagement, sich wirklich das ganze Problem anzugucken und sich diesem dann anzunehmen. Das ist schon erfüllend. Und es ist sehr interessant. Durch die Menschen hier lerne ich viel über die Welt, die Gesellschaft und unsere globale Realität. 

Entspricht das Bild hier im PSZ der Realität?

Nein, das ist eher ein Ausschnitt, hier kriegen wir vor allem das Schlechte mit, Gewalt, Gefängnisse, Ungerechtigkeit. Manchmal scheint die Welt dann nur daraus zu bestehen. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir einen besonders grausamen Ausschnitt der Realität sehen. Gleichzeitig bringen unsere Klient*innen auch viel Lebenskraft mit, haben Lebensgeschichten voller Engagement, für sich und für andere, sie haben so vieles überlebt und meist immer noch Kraft weiterzumachen. Auch das ist ein Teil der Realität.

Was möchtest du in deiner Zeit hier erreichen?

Also auf einer individuellen Ebene, dass ich den Menschen mit ihren Anliegen wirklich helfen kann. Außerdem wünsche ich mir eine effektive politische Arbeit für Geflüchtete und Folterüberlebende, mehr Aufmerksamkeit und eine bessere rechtliche Stellung und Struktur.

Die Versorgung von Folterüberlebenden ist erst in den Kinderschuhen. Ein momentan weit entferntes Ziel ist auch, dass die für Folter politisch Verantwortlichen bestraft werden. Die Straflosigkeit ist ein Riesenproblem, wie ja leider bei vielen Formen der Gewalt. Im medizinischen Bereich sollten Versorgungsstrukturen erreichbarer werden, statt, dass der Zugang migrationspolitisch bewusst erschwert wird. 

Aber Politik und Verwaltung sind da auch nicht homogen, deshalb bin ich noch nicht hoffnungslos. Überhaupt kann man hier ohne eine gewisse „professionelle Hoffnung“ gar nicht arbeiten. Auch um die Hoffnung aufrecht zu erhalten für Menschen, die das gerade nicht mehr selber können. Manchmal sage ich den Leuten: „wenn ich keine Hoffnung hätte, dann würden wir uns hier gar nicht unterhalten“. Wenn ich so drüber nachdenke, gibt es eigentlich keine hoffnungslosen Fälle, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. 

Was hat dich motiviert, eine so ungewöhnliche Stelle anzutreten?

Ich möchte mich mit allem, was mich ausmacht, in meiner Arbeit einbringen. In einem privaten Klinikkonzern zum Beispiel sind Ärzt*innen Teil eines Unternehmens, deren oberstes Ziel Profit ist. Und das ist dort auch spürbar. Das wollte ich nicht mehr. Mir gefällt die Arbeitsatmosphäre, die interdisziplinäre Teamarbeit und der Einsatz für die Menschenrechte. 

Zwei Sätze zur Pandemiesituation in Bezug auf Eure Klient*innen:

Die Pandemie verstärkt die sozialen Probleme, die ohnehin existieren. Marginalisierte Menschen geraten noch mehr aus dem Blick und gleichzeitig sind sie stärker von Covid-19 und den Infektionsschutzmaßnahmen betroffen. Gemeinschaftsunterkünfte sind ein wichtiger Aspekt des Problems, wenn es um Geflüchtete geht. Ebenso die verstärkte Arbeitslosigkeit, die psychischen Folgen der Isolation und der Ängste, die mit der Pandemie zusammenhängen.

Zusatzbemerkungen

Ich empfinde das PSZ als eine Art Insel der Menschlichkeit. Sowohl bezogen auf das Verhältnis der Leute, die hier arbeiten, als auch auf das Verhältnis zu den Klient*innen. Es gibt hier kein starres Schema, in das die Menschen hinein gepresst werden sollen, das finde ich sehr schön. Man beschäftigt sich einfach konkret mit dem Problem und versucht es zu lösen, auch wenn das mal etwas länger dauert oder anders läuft als geplant.