Newsletter Juni 2021

Sehr geehrte Unterstützer*innen des PSZ, liebe Freund*innen,

heute möchten wir Ihnen unsere neue Kollegin Zeynep Atik und das Frauencafé der Organisation von Olande Byamungu vorstellen, uns zur aktuellen Situation in Afghanistan äußern und wie immer einen Überblick über unsere Veranstaltungen in den nächsten Monaten Juni und Juli geben.

Vorstellung unserer neuen Kollegin: Zeynep Atik
Name:  Zeynep Atik
Team: Ärzte PSZ

Motivation:
Meine erste Berührung mit Geflüchteten hatte ich in meiner Familie, ein Angehöriger aus der Großfamilie hatte als zum Tode verurteilter politischer Gefangene sieben Jahre in Haft gesessen, bevor ihm mit vielen anderen ein spektakulärer Fluchtversuch im Frühjahr 1997 aus einem Sicherheitsgefängnis gelang. Er war über Griechenland aus der Türkei illegal ausgereist und nach Deutschland geflüchtet. Er bat mich bei seiner Ankunft, für ihn beim Rechtsanwalt die Übersetzung zu übernehmen. Sehr schnell hat er selber die deutsche Sprache erlernt, was ihm, der in der Türkei bereits studiert hatte, leicht fiel.

Im Studium in Freiburg war ich bei Amnesty aktiv und in der Flüchtlingshilfe. Ehrenamtlich habe ich einen Sprachkurs für geflüchtete Frauen unterstützt, die von einer Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache auch ehrenamtlich geleitet wurde. Zudem habe ich für ein Therapiezentrum für Flüchtlinge in den Therapiesitzungen im Einzel- und Gruppensetting übersetzt. Besonders schwer fiel es mir auszuhalten, dass Mütter die geflüchtet waren, starke Sehnsucht nach ihren minderjährigen Kindern, insbesondere Kleinkindern hatten, die Sie nicht einfach nach Deutschland nachholen konnten. Mich hat diese Not sehr berührt und bewegt, auch wenn ich sehr professionell an die Übersetzungsarbeit eingeführt wurde.

Seit mindestens 20 Jahren hatte ich den Wunsch, mit Geflüchteten professionell zu arbeiten. Einen ersten Versuch im UKE Hamburg Eppendorf  hat das Schicksal vereitelt. Damals war ich dort in der KJP unter der Leitung von Prof. Dr. med. Peter Riedesser angetreten, um in der Spezialambulanz für psychisch erkrankte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu arbeiten, welches von der Stiftung Children for Tomorrow gefördert wurde. Die Behandlungen wurden damals (wie heute) ungeachtet des Aufenthaltsstatus der Patient:innen durchgeführt. Statt in dieser Ambulanz zu arbeiten, wurde ich auf die Jugendstation zugeteilt, die Kollegin dort hatte nach den Suiziden zweier Patienten plötzlich gekündigt.  Im Rahmen der Facharztweiterbildung kam ich später von den Adoleszenten zu der Arbeit mit Erwachsenen.

Als ich in Hamburg in der Erwachsenenpsychiatrie angefangen habe zu arbeiten, war mein erster Patient ein Flüchtling, der gegen seinen Willen zur Begutachtung in der Psychiatrie untergebracht war.

Obwohl ich gerne gleich in die Psychotrauma-Therapie eingestiegen wäre, war es doch gut, mir erst einmal ein therapeutisches Standing in der Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie zu erarbeiten. In der Entwicklung eines niederschwelligen Angebots für „Migranten/-innen“ für den Sektor Altona in Hamburg, kam ich in Kontakt mit dem Arbeitskreis türkischsprachiger PsychotherapeutInnen (damals aktpt heute GTP) und entschloss mich, im Rheinland in einer bereits bestehenden Migrantenambulanz mitzuarbeiten. Diese interkulturelle Institution hatte Dr. med. Murat Ozankan seit einigen Jahren erfolgreich aufgebaut. Die Nachfrage war so groß, dass dort dringend mehr Behandler/-innen benötigt wurden. In einem kollegialen Austausch habe ich damals schon das PSZ Düsseldorf kennengelernt und auch an BAfF Tagungen teilgenommen. Trotz der Schwere der inhaltlichen Arbeit hatte das Team des PSZ Düsseldorfs eine sehr lebendige und freudevolle Ausstrahlung, fand ich. Es machte mich sehr neugierig, wie dieser Umgang mit der Überlastung in der Arbeit so gelingen kann.

Ich freue mich sehr hier jetzt ankündigen zu können, dass ich seit dem 01.04.2021 mit einem 1/4 Stellenanteil als FÄ für Psychiatrie und Psychotherapie im PSZ Düsseldorf angestellt bin. Mit Felix Ahls zusammen bilden wir das Ärzteteam im PSZ Düsseldorf und sind auch mit weiteren Ärztinnen und Ärzten in NRW vernetzt.

Erster Eindruck:
Die Erfahrung der Zusammenarbeit im PSZ freut mich sehr. Die Begegnungen untereinander und auch mit den Klient:innen sind geprägt von einem Austausch, welcher Wertschätzung, Unterstützung und Achtung möglich macht. Fühle mich angeregt andere Perspektiven zu erkunden und auch den „Brückenbau” mitzugestalten. Nachdem ich Konzepte von Multi-, Inter- und Transkulturalität in ihren Vor-und Nachteilen in der Arbeit kennengelernt habe, bin ich gespannt, was die Sichtweise von Plurikulturalität oder Diversität für neue Erfahrungen bringt.

Das Frauencafé: Von Düsseldorf in die demokratische Republik Kongo
Im Rahmen ihrer Arbeit im PSZ, in der Olande Byamungu psychische Stabilisierung in Düsseldorfer Unterkünften anbietet, entstand die Idee eines Frauencafés. Einen Ort, an dem sich Frauen über Probleme austauschen können, Traumatisierungen entabuisiert werden und sich die Frauen gegenseitig empowern können. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur in coronafreien Zeiten Frauencafés in Düsseldorf sondern auch in Kaniola im Kongo organisiert durch die Organisation von Frau Byamungu: „Action Chaîne de Solidarité Universelle“. Die Frauen, die dort leben, haben häufig geschlechterspeziefische Gewalt erlebt und große Verluste erlitten. Nun treffen sich immer am 15. jeden Monats Frauen zu Kräutertee oder Kaffee und versuchen gemeinsam ihre traumatische Vergangenheit zu bearbeiten.  Auch ein Zentrum, in dem Frauen weitere Unterstützung erhalten können, wurde errichtet und konnte bereits 200 Frauen helfen. Immer wenn Frau Byamungu Urlaub hat, fliegt sie in den Kongo, um ihr Projekt zu unterstützen.

Aktuelle Situation in Afghanistan – Abzug der NATO-Truppen

Per Seit 42 Jahren herrscht in Afghanistan Bürgerkrieg. Seit Jahren ist es das Land mit den meisten dokumentierten Kriegstoten. Allein in 2019 starben über 40 000 Afghan*innen, mehr als in Syrien und Jemen zusammengenommen. Der Global Peace Index stufte das Land 2020, wie auch bereits im Jahr zuvor, als „Das gefährlichste Land der Welt“ ein. Aufgrund der kriegsbedingt seit Jahren zunehmenden und durch Naturkatastrophen sowie die Corona-Pandemie zusätzlich eskalierenden Not hat sich seit 2015 die Zahl derer, die in Afghanistan aufgrund von Hunger akute humanitäre Hilfe zum Überleben bräuchten, auf 16,9 Millionen verfünffacht. Zusätzlich verändert sich derzeit die politische Lage im Land aufgrund des Abzugs der NATO Truppen und ihrer Verbündeter, welche seit nunmehr 20 Jahren im Land stationiert waren. Heute kontrollieren die Taliban wieder erhebliche Teile Afghanistans. Die seit September 2020 laufenden Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Doha kommen kaum voran. Beobachter*innen befürchten, dass durch den NATO-Truppenabzug ein Machtvakuum entsteht, welches die Taliban oder auch andere islamistische Kräfte für sich nutzen könnten. Trotz dieser unsicheren Lage im Land finden auf Basis eines in 2016 geschlossenen Rücknahmeabkommens durch die EU und der afghanischen Regierung weiterhin Abschiebungen aus Deutschland statt.

Neben dem sofortigen Abschiebestopp, forden zudem viele internationale Organisationen vermehrt die Aufnahme der afghanischen Helfer (Ortskräfte) in die Mitgliedsstaaten. Denn durch den bevorstehenden Abzug der NATO aus Afghanistan ist zu befürchten, dass viele Afghanen, die als Übersetzer und auch Kämpfer gegen die Islamisten für die NATO gearbeitet haben, um ihr Leben und das ihrer Familien bangen müssen. Sie gelten bei den Islamisten als „Verräter, die den Ungläubigen geholfen haben“, welches mit dem Tod bestraft wird. Vom Patenschaftsnetzwerk Afghnaische Ortskräfte wird daher auch gefordert, jeden der für deutsche Stellen (Ministerien oder deutsche Entwicklungshilfeorganisationen) tätig geworden ist, sollte in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen dürfen, unabhängig in welchem Jahr die Tätigkeit beendet wurde.
Bereits bis Mitte Mai haben mehr als 80% der Ortsbeschäftigten für sich und teilweise ihren Familien, nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, einen Antrag auf Schutz in Deutschland gestellt.

Auch die Bundesverteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) plädiert für ein schnelles Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften, da bereits bis September die NATO-Truppen vollständig aus Afghanistan abgezogen sein werden.
Wie das Innenministerium der „Welt am Sonntag“ mitteilte, werden dazu Büros in Kabul und voraussichtlich in der Gegend um Masar-i-Scharif als Anlaufstelle eingerichtet. Bereits seit 2013 wurde mit dem Verfahren der Aufnahme der Ortskräfte begonnen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden 781 Ortskräfte in Deutschland bereits aufgenommen.

Im PSZ werden derzeit ca. 50 Klient*innen aus Afghanistan behandelt, welche sich große Sorgen um die Lage in ihrem Herkunftsland, ihren dortigen Angehörigen und Freunden sowie, vor dem Hintergrund ihrer eigenen unsicheren Aufenthaltsstatus, ihrer eigenen Zukunft machen.

So geht es auch Mohammad, 26 Jahre alt, welcher vor vier Jahren aus Afghanistan alleine nach Deutschland geflohen ist. Mohammad kämpfte als Soldat der afghanischen Armee an der Seite von deutschen Soldaten in Kunduz. Dies brachte einige seiner Verwandten, welche sich den Taliban angeschlossen hatten, gegen Mohammads Kernfamilie auf, und sie ermordeten seinen Vater. Mohammad sollte als nächstes für seinen „Verrat“ bestraft werden, woraufhin er aus dem Land floh. Der Rest seiner Familie lebt inzwischen unter einem anderen Namen in der Hauptstadt Kabul. Sein älterer Bruder arbeitet dort bei der staatlichen Polizei. Seine Mutter gehe kaum mehr aus dem Haus. Sie habe Angst, sich mit Corona anzustecken, weil das bereits zuvor marode Gesundheitssystem unter der Corona-Pandemie völlig zusammengebrochen sei, es keinen Sauerstoff zum Beatmen gebe. Oder sie befürchte einem Bombenattentat zum Opfer zu fallen. Erst in der vergangenen Woche habe es einen Anschlag auf eine Schule gegeben, welche lediglich 50 m von ihrer derzeitigen Wohnung entfernt gewesen sei. Es habe viele Tote gegeben. Für Mohammad ist dies sehr belastend. Er macht sich große Sorgen um seine Verwandten, und kann in der Folge kaum schlafen, was wiederum Auswirkungen auf seine Arbeitsleistung zeigt. Als Verpacker in einem großen Versandhaus geschieht es in letzter Zeit wieder häufiger, dass ihm bei der Arbeit Fehler unterlaufen und er wurde bereits mehrere Male von seiner Chefin ermahnt. Auch die schrecklichen Kriegsbilder sieht Mohammed wieder häufiger vor seinen Augen, obwohl diese unter der Therapie im PSZ zuletzt deutlich reduziert waren. Am liebsten würde Mohammad keine Nachrichten mehr lesen oder jeglichen Kontakt zu seiner Familie abbrechen, um nicht immerzu an Afghanistan denken zu müssen. Gleichzeitig fühlt er sich seinen Verwandten gegenüber schuldig, dass er in Deutschland aktuell in Sicherheit ist. Die Tatsache, dass sein Aufenthalt lediglich bis Herbst befristet ist, versetzt ihn nachts in Schrecken.

Mohammad zeigt einen Schriftwechsel mit seinem Bruder Sayedwali, dem Polizisten in der Hauptstadt Kabul:

Sayedwali:           „Wo bist du, warum antwortest du nicht?“
Mohammad:       „Geht es Mutter gut?“
Sayedwali:           „Naja, wie soll es ihr schon gehen. Aber wenigstens bleibt sie zu Hause, sodass sie bisher von Corona verschont wurde. Unser Gesundheitssystem ist hier zusammengebrochen. Wenn man vorher überhaupt von „Gesundheitssystem“ sprechen konnte…Sag mal, es ist mir unangenehm, aber könntest du uns mehr Geld schicken?“
Mohammad:       „Warum fragst du? Du arbeitest doch bei der Polizei. Im Staatsdienst ist doch euer Gehalt sicher…“
Sayedwali:            „Naja, wir haben seit drei Monaten unsere Gehälter nicht mehr bekommen, weil nicht klar ist, wie es hier weitergeht. Seit die NATO-Truppen abziehen, ist hier alles irgendwie stehen geblieben. Die Strukturen funktionieren nicht mehr. Alle haben Angst, dass die Taliban wieder die Macht übernehmen werden. In der letzten Zeit sind auch wieder mehr Personen, wie Staatsangestellte, Journalisten, Ärzte oder Sportler verschwunden oder öffentlich ermordet worden. Es ist eine seltsame Spannung im Land. Auch andere politische Akteure, wie die ehemaligen Mujaheddin, machen sich kampfbereit. Du, ich muss los, aber schick uns bitte etwas Geld. Wir brauchen Essen und wir müssen die Miete bezahlen.“

Quellen:
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/334345/nach-20-jahren-nato-truppenabzug-aus-afghanistan
www.diakonie.de/journal/erfahrungen-und-perspektiven-abgeschobener-afghanen
www.dpa.com
https://www.tagesspiegel.de/politik/abzug-der-nato-aus-afghanistan-internationale-organisationen-fordern-schnellere-aufnahme-afghanischer-helfer/27243982.html
https://www.tagesspiegel.de/politik/noch-vor-dem-abzug-der-bundeswehr-kramp-karrenbauer-will-afghanische-ortskraefte-nach-deutschland-holen/27106782.html

Informationen zu unseren Veranstaltungen und Fortbildungen im Juni und Juli:
Aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation finden weiterhin alle Veranstaltungen digital statt.

Am Mittwoch, den 07.07.2021 von 16:00-19:00 Uhr mit Felix Ahls:
„Traumatisierte Geflüchtete in der ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung“.
Fortbildung für Ärzt*innen und Psyhcotherapeut*innen.

Am Mittwoch, den 07.07.2021 von 14:00-16:00 Uhr mit Eva van Keuk und Michael Hoshino: „Offenes Supervisionsangebot für Psychotherapeut*innen“.

Die Teilnahme ist kostenlos. Bitte melden Sie sich verbindlich an, damit wir planen können. Die Anmeldung koordiniert in diesem Jahr unsere Kollegin Martina Höttges über die Mailadresse fortbildung [at] psz-duesseldorf [dot] de.

Über die Veranstaltungen im August werden wir Sie in diesem Mailing Mitte Juli informieren.

Den Veranstaltungskalender für das Jahr 2021 finden Sie auch online auf unserer Webseite. Schauen Sie doch gerne mal vorbei:
https://psz-duesseldorf.de/fortbildung-forschung/fortbildungskalender/

Herzliche Grüße aus dem PSZ Düsseldorf